Xiaolu Guo

»Eine Zensur ist in China gar nicht mehr nötig«

Deren Aufgaben erledigt mittlerweile die »Kommerzmaschine«. Ein neuer Film zeigt, wie das funktioniert. Gespräch mit Xiaolu Guo

von  Gitta Düperthal, Junge Welt, 25. April 2012

Die Filmregisseurin Xiaolu Guo, 1973 in einem Fischerdorf in China geboren, hat beim Internationalen Frauenfilmfestival in Köln in der vergangenen Woche ihren Spielfilm »UFO in her Eyes« vorgestellt – eine Verfilmung ihres Romans »Ein Ufo, dachte sie«.

Ihre Gesellschaftssatire »UFO in her eyes«, die am Donnerstag in deutschen Kinos anläuft, zeigt, wie der Kapitalismus ein chinesisches Provinznest und seine Bewohner überrollt. Haben Ausbeutung und Entfremdung, die Sie in Ihrem Film zeigen, wirklich mit dem China von heute zu tun?

Ja, allerdings! Die radikale Umgestaltung vom Sozialismus zum Kapitalismus in den vergangenen 25 Jahren in China hat das Leben der Menschen durcheinandergewirbelt. Während in westlichen Ländern die Industrialisierung mehr als zwei Jahrhunderte brauchte, mußten sich meine Landsleute von jetzt auf gleich umstellen und sich mit einer monströsen Kommerzialisierung abfinden.

Wie brutal das gelaufen ist und welche Verwirrung das in den Köpfen der einfachen Leute und Bauern hinterlassen hat, zeige ich auf satirische Weise in meinem Film. Sie hatten keine Zeit zu lernen, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen. »Jetzt mußt du deine Haut zu Markte tragen«, hieß es.

Und wie haben die Menschen darauf reagiert?

Viele hat es seelisch gebrochen. Das sieht man auch an der Ortsvorsteherin in meinem Film, die mitunter widersprüchliche Befehle von oben nach unten weiterreichen muß. Während ihr Sekretär zum Inhaber eines Fünf-Sterne-Hotels mutiert, ist zu sehen, wie Karpfenteiche und Reisfelder Parkplätzen und Touristenattraktionen weichen. Die Landarbeiter stehen plötzlich vor dem Nichts!

Als Künstlerin habe ich die Ambition, die Entwicklung zum Kapitalismus und damit verbundene Veränderungen sinnlich faßbar zu machen. Auslöser des für die meisten Beteiligten schmerzhaften Prozesses ist ein absurdes Geschehen: Die Hauptfigur, Kwok Yun, meint beim Treffen mit ihrem Liebhaber, einem verheirateten Dorfschullehrer, ein UFO gesehen haben. Sie fällt in Ohnmacht, wacht später neben dem verletzten US-Millionär Bill Huang auf und pflegt ihn. Zum Dank dafür wird der Ort zur Touristenattraktion erklärt; Populärkitsch aus den USA zieht ein.

Warum das UFO als Symbol?

Wichtig ist mir, daß die Zuschauer den Film aus Zeit und Ort herauslösen können. Es muß weder China sein noch der Beginn des 21. Jahrhunderts: Überall auf der Welt und zu jedem Zeitpunkt bedeutet der Einbruch des Turbokapitalismus, daß Menschen entrechtet werden. Das UFO steht für Realitätsflucht, am Anfang wie am Ende des Films. Kwok Yun übernimmt nicht, wie von der politisch Verantwortlichen gewünscht, die Propaganda des Tourismus-förderlichen Ereignisses. Statt dessen steigt sie mit einem mysteriösen jungen Mann in das UFO, um zu einem anderen Planeten aufzubrechen. Der Kommunismus hielt ja keine Religion parat, in die man hätte flüchten können.

Welches Anliegen hat Ihr Film?

Ich will verdeutlichen: Bei der Umgestaltung zum Kapitalismus müssen die Herrschenden zunächst die ideologische Schlacht gewinnen. Die Leute müssen begreifen, daß »der Dollar« im Vordergrund zu stehen hat; nicht das Leben und Überleben einer Dorfgemeinschaft!

Wie wurde diese Schlacht in China im »richtigen Leben« gewonnen?

Mit Hilfe der Medien! Sie kontrollieren alles.

Meinen Sie, daß die Menschen irgendwann dagegen rebellieren?

Es wird sobald keinen »chinesischen Frühling« geben, falls Sie das meinen. Das Leid ist in China zwar groß wie in den arabischen Ländern. Aber die Revolution in China war sehr blutig – viele haben sie noch im Gedächtnis. Außerdem haben wir eine hervorragend entwickelte Korruption aus sogenannten sozialistischen Zeiten. Sie macht unter neuem Vorzeichen weiter.

Mußten Sie bei Ihrem Film die Zensur fürchten?

Zensur ist gar nicht mehr nötig, die Kommerzmaschinerie funktioniert reibungslos: Intellektuell anspruchsvolle und Independant-Filme gehen unter; Lobbyismus sorgt dafür, Populärfilme in die Kinos zu bringen – in China laufen meine unter der Hand, privat oder in Clubs.

Wo leben Sie eigentlich?

Hauptsächlich im Flugzeug: Unterwegs zwischen Peking und europäi­schen Metropolen!

 

 

 

Originalartikel

 

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