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RAUS, EINFACH RAUS
Von Daniel Sander
Der Spiegel, 4. Feb 2010
Im preisgekrönten Kinofilm "She, A Chinese" von Guo Xiaolu versucht eine junge Chinesin, den Traditionen der Provinz zu entfliehen und in der Moderne anzukommen. Doch die hat nicht gerade auf sie gewartet.
Jeder Tag eine einzige Ödnis. Die junge Mei (Lu Huang) sitzt vor einem einfachen Imbiss an der Landstraße und blättert in einer Lifestyle-Zeitschrift. Sie kümmert sich um die Billardtische, die vor der Bar herumstehen. Wenn denn mal jemand spielt. Nichts, überhaupt gar nichts gibt es in diesem gottverlassenen Ort in der chinesischen Provinz für sie zu tun. Findet Mei.
Ganz im Gegenteil, meint die Mutter, die Hilfe brauchen könnte mit den Schweinen und all den anderen Aufgaben, die das Landleben so bietet. Sie könnte natürlich auch Flaschen sammeln mit dem Vater, auf der Müllkippe.
Eine moderne junge Frau, die den Fesseln der Tradition zu entkommen versucht - das ist das große Thema von "She, a Chinese", dem zweiten Spielfilm der Schriftstellerin und Regisseurin Guo Xiaolu, die damit ein bisschen auch ihr eigenes Leben verfilmt hat: Aufgewachsen in einem kleinen Fischerdorf ist sie an die Filmhochschule nach Peking geflohen, bevor sie es in London versucht hat und zur gefeierten Künstlerin wurde.
Projektionsfläche einer ganzen Generation
Für ihre Filmheldin Mei läuft es jedoch deutlich weniger erfreulich. Auch sie versucht die Flucht in die Großstadt, doch in Chongqing wartet nur eine Stelle als Näherin auf sie, die sie wegen Schlampigkeit sofort wieder verliert. Stattdessen heuert sie in einem als Friseursalon getarnten Massage-Schuppen an und verknallt sich in einen Mafia-Schläger. Dank dessen unfreiwilliger Hilfe kommt sie immerhin an genug Geld, um endlich dorthin zu gelangen, wo sie ihr Glück vermutet: London. Was sie dort findet, ist nur ein weiterer Ort, wo sie sich wie ein Fremdkörper vorkommt, unerwünscht und unwichtig.
Klingt nach einem anstrengenden Film, und das ist es auch. "She, a Chinese" hält sich nicht mit Erklärungen auf und fordert das Publikum ständig heraus, sich selbst zusammenzureimen, wo und warum Mei gerade irgendetwas macht und was sie sich dabei wohl denkt. Sie redet nicht viel, und wenn sie doch spricht, gibt sie sich gern als rücksichtslose Zicke. Nur ihr trauriger Blick lässt ahnen, was für ein Mensch wirklich dahinter stecken könnte.
Die Regisseurin bürdet ihrer Protagonistin auf, für eine ganze Generation stehen zu müssen - ein Prototyp, für all die jungen Menschen, die das Gefühl haben, der viel zitierte chinesische Fortschritt finde ohne sie statt. Mei ist mehr Projektionsfläche als individueller Charakter, der Film soll eher erhellen als berühren.
Dass daraus trotzdem fesselndes Kino geworden ist (nicht zu Unrecht gewann der Film auf dem Festival in Locarno im vergangenen Jahr den Goldenen Leoparden), liegt an einem guten Gespür für Tempo und Timing, einem schmissigen Soundtrack von Komponist und Produzent John Parish (The Eels, P.J. Harvey) und dem bösen Sinn für Humor, der immer mal wieder aus der Tristesse hervorblitzt. Ein einziges Bild reicht der Regisseurin, um zu zeigen, dass Meis Träume vom besseren Leben eben nur Träume sind: Im Pandakostüm steht Mei auf der Straße und wirbt für ein China-Restaurant. Willkommen, soll das heißen, das ist dein neues Leben.
Daniel Sander
Der Spiegel, 4. Feb 2010
Originalartikel
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